Wir treffen uns am Montag, 25.5. um 18 Uhr im Café Jelinek, Otto-Bauer-Gasse 5, 1060 Wien.
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„(…) tatsächlich ist der Inhalt aber weniger pessimistisch, als der Titel vermuten lässt.“ –Spiegel
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Nachlese #7
Die kleine Nachlese (keine Rezension! keine Zusammenfassung!) zum Buchclub V #7. Diesmal auch in Audio-Version:
Als das Wort „mäandernd“ fällt, trägt es mich sofort vom dunstigen Café mit den bald anschlagenden Fensterscheiben in den Regen hinaus und in die flachen Ausläufer des Alpenvorlands, auf ein Feld mit benetzten Kornspitzen und versteckten Spitzmäusen, wo sich ein vom Regen genährter Fluss rauschend, fast rauschig, durch das steinige Flussbett schlängelt und ein Angler in grünen Stiefeln bis zu den Hüften seine Angel ins Wasser peitscht, den tarngrünen Hut tief über die dicken Brauen gezogen. Da hab’ ich schnell am trüben Licht und der humiden Luft Gefallen gefunden – und dafür den Faden verloren. Ein Abwandern wie dieses an lustvolle Orte, von denen es schwierig ist, zurückzufinden, wird heute Abend dem Autor vorgeworfen: Wir haben James Bridle: New Dark Age gelesen.
Haben wir es mit einem Bauchladen-Buch zu tun oder braucht es all diese Facetten für den Blick in die Zukunft? Wir sind uns nicht einig. Während James Bridle uns ein neues dunkles Zeitalter prophezeit, springt er vom Klima über die Pharmaforschung bis zu YouTube, erweitert das Moor’sche Gesetz des technologischen Fortschritts um das Eroom’sche der Verlangsamung des Fortschritts in der Pharmabranche und noch eines:
Gates’ Gesetz besagt, dass sich die Geschwindigkeit der Software infolge einer verschwenderischen und ineffizienten Programmierung und überflüssiger Features alle 18 Monate halbiert.
—James Bridle: New Dark Age, S. 99.
Antworten geben?
Humor hat der Künstler James Bridle stets dezent und zwischen den Zeilen, in denen er auch von eigenen Recherchen vor Ort erzählt, wo er Sendemasten auf Häusern fotografiert. Eine Entdeckungsreise, die sich mit dem Öffentlichen, dem Sichtbaren beschäftigt, nur beschreibt, was da ist und einzig durch das Erzählen und Verbinden, das Ziehen neuer Schlüsse eine kleine Denkkapsel aufmacht, ist uns schon bei Shoshana Zuboff eindrücklich begegnet, die nicht selten besonders bewusst meinungsbildendes Marketingmaterial analysiert.
In der Spurensuche erinnern wir uns an die wenigen Mantren, die wir einmal vor die Diskussionen in unserem kleinen Buchclub V gestellt haben:
- Respekt vor anderen Meinungen ist unabdingbar.
- Widersprüche sind spannend. Und selten aufzulösen.
- Ziel ist keine Einigung, sondern Differenziertheit in den eigenen Ansichten.
- Fragen sind wichtiger als Antworten.
Dem gegenüber steht der Solutionismus als Begriff in
einer Zeit, in der das Anbieten von Lösungen lukrativer ist als das
Hinterfragen des Problems. In der man die Technologie heranreißt für eine Lösung jenes Problems, von dem man nicht einmal sicher sein kann, ob man es überhaupt hat. Oder braucht! Wer braucht schon Probleme, wirst du noch fragen. Und
Technologien sind vorstellbar als Lösung für alles Mögliche – auch Unbrauchbares. Aber es kann sich dabei mit Dingen beschäftigt werden,
die gar keiner Beschäftigung bedürfen. Hier lohnt es sich also, anzusetzen.
Sodann bieten Softwareschmieden und Unternehmensberater keine Software und Beratung mehr an, weil sich das schon lange nicht mehr schickt, stattdessen „Lösungen“ (Solutions!) in der „Cloud“, skalierbare Apps und „innovative Nachhaltigkeit“ für deine UX, KPI und ROI – um eine möglichst lange Entfernung zwischen dich und die Frage zu schieben, die ja ein Problem ist, und wer will schon Probleme? Helden werden für Lösungen gefeiert. Ob es davor ein Problem gab oder auch nicht!
Fragen stellen?
Der Geist ist im digitalen Kapitalismus weder aus der Maschine gewichen noch vollständig auf die Maschine übergegangen.
Tilman Reitz/Susanne Draheim: Solutionismus, Transparenz oder kollektiver Narzissmus? Der „Geist“ des digitalen Kapitalismus in the making. 2018.
In
einer Zeit der Technikgläubigkeit, die gut neben dem Vertrauen in die
Wissenschaft als Ersatz für eine abhanden gekommene Religion oder einen
verschwundenen Glauben dient, scheint der Zweifel ein altmodischer
Zugang geworden zu sein. Dabei ist der Zweifel, so unangenehm er sich anfühlen
mag, ein so wichtiges, so hilfreiches Instrument. Der Zweifel lässt sich nie von einer Lösung überrennen, er stockt sofort
im Problem, in der Frage, er hält fest am Bahnhof, an der Parkposition, am
Radständer, der Zweifel an sich ist keine Fortbewegung – sondern ein
Zurückblättern. Der
Zweifel verbindet das Offensichtliche mit dem Verborgenen, er verbindet das
Bauchgefühl mit den möglichen Realitäten. Einem Zweifel zu folgen bedeutet,
alternativen Realitäten Raum zu geben. Aber ist der Zweifel auch das Nachdenken, das wir brauchen?
Licht auf eine Frage werfen ist wie der Zweifel
unangenehm, es brennt wie eine Taschenlampe in den Augen, wenn dunkle Tatsachen
zutage treten, wenn Dinge ans Licht kommen, die eigentlich durch Lösungen
bereits verdeckt werden hätten sollen. Verständlich, wer eher nach einer fernen
Lösung greift, als dem nahen Problem ins Auge zu leuchten.
Licht ist nicht immer gleich schnell, lesen wir hier. Schneller wird es in der Luft anstelle des Glasfaserkabels, langsamer an Knotenpunkten und in langen Leitungen, die etwa unter den Ozeanen verlaufen. Der Kampf um Millisekunden ist längst eröffnet, er spielt auf Finanzmärkten die Nullen in der Kommastelle schnell wieder ein. Wir sprechen hier von 75 Millionen US-Dollar pro Millisekunde bei einer Einsparung von 17 auf 13 Millisekunden. Die Entscheidung zwischen Geheimhaltung und Sichtbarkeit spiegelt sich in der Dicke des Geldbeutels wieder, Geheimhaltung lohnt sich also. Und weil Geld und Wahrheit nicht immer gut zusammenpassen, kann man gut und gerne bei Verdecktem immer nachhaken. Aber ist das Beleuchten von Tatsachen allein die Art der Betrachtung, die wir brauchen?
Eine der letzten Fragen dieses schummrig-schönen Abends ist die nach dem Buchtitel: Was ist denn eigentlich dieses „Dark Age“, von dem es nun ein neues geben soll? Als dunkle Zeitalter bezeichnet man in der Geschichtswissenschaft schlicht jene, über die man nur wenig weiß, zu denen fehlende Relikte und Quellen den intellektuellen Zugang verwehren. Hier sind zwei Dinge interessant: Erstens wird die Dunkelheit hier wieder nur über das Licht sichtbar – es muss Zeiträume geben, über die mehr Informationen existieren, um andere im Vergleich als unbeleuchtet bezeichnen zu können. Zweitens stellt sich die Frage, was mit der Geschichte passiert, wenn sie nicht geschrieben wird.
Übertragen wird der Begriff eines Dark Age dann
auch auf Zeiträume, über die man eigentlich lieber nicht so viel wüsste (dem
Dunklen zugewandte Charaktere einmal ausgenommen), weil sie sich durch Krisen,
Katastrophen oder menschliche Verfehlungen auszeichnen, also den evolutionären
Fortschritt bedrohen.
Möglicherweise gibt es in der englischsprachigen Literatur eine etwas andere Umdeutung, hier bezieht sich Dark Age oft auch allgemein auf das gesamte Mittelalter (das sicher einen schlechteren Ruf hat als angebracht).
Eines ist sicher: In einem New Dark Age fehlt Licht. Es fehlt Klarheit über die Dinge, es fehlt das Wissen um die Grenze zwischen Sein und Schein, es fehlt Transparenz in den unbeleuchteten Ecken. Was dunkel, duster, dumper bleibt, bleibt unberechenbar und bedrohlich. Nun, ihr Denkerinnen und Denker, an die Lampen!
Danke an die stars in jars und spezielles Danke an den Moderator of the Day, Mario!